Was tun? Verhalten!

Bahn fahren und Recht haben reicht nicht. Mit welchem Verhalten wir zum besseren Zukunftsklima beitragen.

Es ist Freitag Mittag und ich stehe an der Hamburger Binnenalster. Um mich herum unüberschaubar viele Menschen. Später werden die Bilder auch auf der Startseite der New York Times stehen. Es ist, als gäbe es nur Wasser und Menschen — Boden sieht man nirgendwo. Vor mir sehe ich ein Schild mit „Verhaltenswandel statt Klimawandel“. Die Demo-Stimme bittet uns, nicht zu drängeln. Manche drängeln. Neben mir stellt sich eine Frau einem Mann in den Weg, der durch die Menge zu kommen versucht. ‚Hast du nicht gehört, was die Demo-Stimme gerade gesagt hat? Nicht drängeln!‘, sagt das Gesicht der Frau.

Nicht, dass ich so viel besser wäre… Ich habe nur Sekunden vorher auch schon böse Blicke verteilt. Weil es einfach nervig und unangenehm ist, in einer Menge gequetscht zu werden. In meinem Kopf war eine ähnliche Stimme wie auf dem Gesicht der Frau, die sich breitbeinig in den Weg stellte. ‚Maaaaaaaann, hast du’s nicht gehört? Drängeln bringt nichts!‘ Aber dieses „Verhaltenswandel statt Klimawandel“-Plakat lässt mich plötzlich über unser Verhalten dort in der Demo-Menge nachdenken. Über mein Verhalten und das der anderen um mich herum. Mir dämmert, dass Verhaltenswandel tatsächlich der große Dreh- und Angelpunkt ist. Und zwar in viel mehr Dingen als umweltbewusstem Verhalten.

Die unfreundliche Frau und ich stehen hier und drücken jemand anderem rein, dass der sich gerade falsch verhält. Und das nicht nur unserer Meinung nach. Schließlich hat es die Demo-Stimme ja gerade gesagt!! Wir sind im Recht!

Genauso im Recht sind wir mit unseren Positionen: Wissenschaftler*innen legen seit Jahrzehnten dar, dass wir anders mit unserem Planeten umgehen müssen, weil es sonst übel ausgehen wird. Der Drängler ist wie der SUV-Fahrer, der Plastiktüteneinmalnutzer und der Vielflieger. All denen gegenüber stehen FridaysForFuture und Co und sagen: „Ihr macht was falsch!“ Ich meine: sie haben Recht. Allein, Rechthaben genügt nicht. Auf der Seite der Rechthaber*innen schmilzt das Eis genauso.

Ich hab die Plakatmaler*innen nicht gefragt, welches Verhalten sie als erstes wandeln würden, wenn sie die Wahl hätten. Ich tippe darauf, dass es ihnen um so etwas geht wie: Im Unverpacktladen einkaufen, sich Autos mit den Nachbarn teilen, mit dem Rad und der Bahn fahren, die Kohlekraftwerke abschalten und sowas. Das sind Ideen für die ‚Sache Klima‘, die Sachebene, das WAS unseres Verhaltens. Gekauft. Da müssen wir ran. Und da gilt es, Verhalten zu ändern. Nur ist das nicht alles. Damit wir nämlich das neue WAS, den verantwortungsvolle(re)n Umgang mit der Natur, wirklich *bewirken* und nicht nur beim Rechthaben stehen bleiben, müssen wir auch das WIE unseres Verhaltens gut gestalten. Wenn ich mich dem Drängler mit bösem Blick in den Weg stelle, ändert sich doch nichts. Wenn ich den SUV-Fahrer laut kritisiere, wird der sich verteidigen.

Umdas vorwegzunehmen: Ich verstehe die Wut und die Verzweiflung derer, die seit Jahren versuchen, die Welt besser zu machen. Ich verstehe die Strategie der Maximalforderung, damit am Ende der zähen Verhandlungen wenigsten noch ein brauchbares Minimalziel erreicht wird. Wie Margarethe Birthler mal sagte: „Utopien sind Treibstoff, um loszugehen.“ Ohne große und hohe Ziele, kommen wir nicht weit. Ich kann auch logisch nachvollziehen, warum jemand laut und radikal wird. Was soll man denn machen, wenn man nicht gehört wird? Aber ich sag mal so: Wenn ich dein Auto erst mal angezündet habe, ist die Wahrscheinlichkeit äußerst gering, dass du noch mit mir sprichst. Abgesehen davon, dass Autoanzünden klimatechnisch wirklich nicht gut sein kann. Im Ernst. Niemand glaubt doch, dass die Autobesitzer*innen zu mir kommen und sagen: „Wow, du musst erbost sein, dass du sowas tust. Komm’ rein, damit wir verstehen, worum es dir geht.“ Aber — und da lasse ich nicht mit mir verhandeln — einen solchen Dialog bräuchte es, damit wir sachlich verhandeln, damit wir argumentieren und bedeutsame Veränderungen in möglichst kurzer Zeit durchziehen können. Utopisch? …siehe Zitat von Frau Birthler oben.

Will ich hier sagen, dass man nicht mehr schimpfen soll? Dass man nicht mehr auf Missstände hinweisen soll? Dass man das aus seiner Sicht falsche Verhalten einfach so hinnehmen soll? Dass man immer freundlich vorsichtige Vorschläge machen soll? Nein.

Ich sage nicht, wir sollen die Dinge hinnehmen. Hinnehmen oder kraftlose Nettigkeit sind nur *ein* Gegenteil von Schimpfen. Ein anderes wäre Position beziehen. Ein wichtiger Verhaltenswandel ist, die eigene Position auf eine Weise zu beziehen, dass die anderen sich nicht angegriffen fühlen und ohne ihr Gesicht zu verlieren ihrerseits über einen Verhaltenswandel nachdenken können. Mal ehrlich, wir kennen das doch alle selber: Wie attraktiv ist es denn, Fehler oder Schuld einzugestehen und sich als Verlier*in mit gesenktem Kopf hinten anzustellen? Gar nicht. Was spricht denn dagegen, es jemandem leicht zu machen, die Seiten zu wechseln? Ich finde kein gutes Argument. Ich habe den Eindruck, wer sich weigert, auf Augenhöhe in gutem Dialog zu überzeugen, will die anderen bluten und leiden sehen. Das ist mir zu Mittelalter. Wir haben 2019. Und wir haben keine Zeit für Erziehungs- und Sühneprozesse.

Ich finde das Plakat „Verhaltenswandel statt Klimawandel“ eins der besten der Klimaproteste. Es sagt auch: Jede*r kann was tun und zwar ständig.

Wir können Position beziehen gegen Verhalten, das wir kritisch oder gefährlich finden. Wir können diejenigen, die das Verhalten zeigen, ins Gespräch bringen. Ein guter erster Schritt in diesem Gespräch: Nachfragen, *warum* jemand dieses Auto fährt oder zweimal in der Woche von Hamburg nach Frankfurt fliegt oder denkt, ein Tag ohne Fleisch sei ein schlechter Tag. Nachfragen und zuhören bedeutet nicht zuzustimmen. Manchmal hört man einen verständlichen Grund, manchmal nicht. Im besten Fall kommt man gemeinsam auf eine Idee, wie man alle Anliegen — die persönlichen wie die des Weltklimas — auf einmal erreicht. Manchmal geht das nicht. Auch dann ist es erfolgsversprechender, wenn wir miteinander betrachten, was das für ein Kampf wird: gegen die Bequemlichkeit, gegen das Geldsparenwollen, gegen die Gewohnheit. Wenn wir uns gegenseitig dafür anerkennen, dass es nicht leicht ist, wenn wir uns ins selbe Team stellen und dem Schweinehund, dem Geiz-ist-geil und dem Stillstand den Kampf ansagen, kommen wir weiter.

Und auf die Art retten wir das gesellschaftliche Klima gleich mit. Leicht wird’s nicht. Aber wir sind viele.


Dieser Artikel erschien auch bei MEDIUM